sobota, 16 października 2021

Das märchenhafte Bydgoszcz

 Um Fremdes verzehrt, Eigenes verkannt - wie ist es mit unserem Bydgoszcz?

Tekst: Ewa Raczyńska-Mąkowska

fot. Daniel Dąbrowski

english version  deutsche version  polska wersja

Quelle: "Bydgoszcz 1346-1996" Wydawnictwo Tekst

    Die Stadt hat schon viel an Sehenswürdigkeiten zu bieten. Daher möchte ich sie zum gemeinsamen Bummel durch ihre reizvollen Ecken, durch die Epoche Fin de siécle und die sog. Bydgoszczer Sezession einladen. Ihre meisten Spuren sind im nördlichen Teil der Stadt erhalten geblieben. Die Gebäude und Bürgerhäuser aus der Zeit um die Jahrhundertwende sind hier fast überall vorhanden, denn gerade zu jenem Zeitpunkt wurde der Ausbau der Stadt nordwärts vollzogen, indem an der Straße in Richtung Gdańsk (Danzig) Bauwerke wie Pilze aus dem Boden nacheinander schossen.
    Bevor wir uns auf den Weg machen, wollen wir unsere Aufmerksamkeit auf die Tatsache lenken, daß die Begriffe im Zusammenhang mit dem Wesen des um die Jahrhundertwende und im ersten Jahrzehnt unseres Jahrhunderts herrschenden Baustils des öfteren verwechselt werden. Manchmal kann man über "Sezessionshäuser" lesen, wo wir es doch mit einer auf klassischen Baustilen beruhenden Baukunst, keinesfalls aber mit der Sezession zu tun haben. So werden Eklektismus und Sezession irrtümlicherweise miteinander gleichgesetzt. Bei unserer Wanderung durch Bydgoszcz werden wir diesbezüglich Ordnung schaffen. Es sei noch auf folgendes verwiesen - was wir heutzutage bewundern können, gilt als Ergebnis der neulich geführten Restaurierung unter Einsatz der erhaltenen Ikonographie bzw. als Ergebnis einer glücklichen Schicksalsfügung. So konnten manche Häuser vor "Wiederaufbau" und "Sanierung" gerettet werden, die nach dem Krieg im Namen einer falsch aufgefaßten Modernität, tatsächlich aber aus Abneigung gegen Pietismus vorgenommen und dadurch die für damalige Epoche kennzeichnenden Zierelemente der Hausfront zerstört wurden.

DER GEIST EKLEKTISMUS

    Da wir chronologisch vorgehen wollen, sollten wir mit den Bauwerken beginnen, die Ende des 19. Jh. in einem Stil errichtet wurden, der die Traditionen der vorausgegangenen Epochen vereinigte - im Geist des Eklektismus.
    Diese Stilistik, die mit der späteren Sezession des öfteren verwechselt wird, lag vielen interessanten Unternehmungen zugrunde, wobei die Werke von Józef Święcicki zweifelsohne in den Vordergrund rücken. Der Name dieses Architekten steht im engsten Zusammenhang mit den hervorragendsten, historisierenden Bauwerken, die bis zum heutige Tage erhalten geblieben sind, und zwar mit dem Hotel "Zum Adler" sowie mit den Bürgerhäusern am Wolności-Platz 1 und der Gdańska-Str. 63 (üblich als "Etola" bezeichnet).

DAS HOTEL ALLER HOTELS

    Unsere größte Aufmerksamkeit soli nun dem Werk gelten, das inzwischen schone eine Legende der Stadt geworden ist. Hiermit meine ich freilich das Hotel "Zum Adler", das in den
Jahren 1893-1896 erbaut und vom Anfang an als Wohnung, Hotel, Geschäft und Dienstleistungsstätte in Anspruch genommen wurde. Dieses Bauwerk wird den Besuchern so gerne gezeigt und von prominenten Gäste als Hotel bezogen. Besonders eindrucksvoll war sein repräsentatives Treppenhaus mit dessen Zierbalustrade mit Silber und Goldteilen, Mosaikfenstern und Kristallspiegeln. In den letzten Jahren einer gründlichen Restaurierung unterzogen, läßt es seine Gäste wieder einmal in Entzückung geraten. Von großem Interesse ist ebenfalls die Hausfront, die durch den Abriß ungelungener Arkadendurchgänge nicht nur ihre ehemalige Bauform wiedererlangte, sondern auch eine pulsierende, an unzähligen Details reiche Dekoration gewann. Einem aufmerksamen Betrachter wird es nicht entgehen, daß die Fülle an dekorativen Teilen als Geflecht von Bauelementen der vorausgegangenen Epochen, des Klassizismus und des Barock, entstanden ist. Ordnung, Symmetrie, eine unverkennbare Teilung in horizontale Streifen, erzielt durch den Einsatz von ausgeprägten Gesimsen, und eine differenzierte Bonierungsplastik; Pilaster, Säulen, Atlanten, ein Kleinod im Portal, Füllungen, Schlußsteine und Pfostengeläder sind nur einige Grundelemente, die aus der Baukunstgeschichte entnommen wurden und an dieser Hausfront Anwendung fanden. Durch die vorgenommene Renovierung dieses Bauwerkes sind wir heutzutage in der Lage, diese Schöpfung der menschlichen Phantasie und der baukünstlerischen Schaffenskraft voll zu genießen.
    Ein ähnliches, glückliches Schicksal im Hinblick auf die Renovierung widerfuhr auch den Bürgerhäusern von Święcicki. Sie mögen auch nicht derart dekorativ sein, aber die Fülle der eingesetzten  Details, nach den vom Hotel "Zum Adler" bekannten Grundsätzen miteinander verbunden, sorgt schon für viele Kunsterlebnisse. Eines von ihnen, in der Gdańska-Str. 63, bezog ihr Erbauer, Józef Święcicki.

DER VORFAHREN AUFRURH

    Bei der Sezession, die in verschiedenen Ländem abweichend bezeichnet wird, handelt es sich um die Stilistik der folgenden Epoche, die aus einem totalen Protest gegen die bisherige Kunst und... Sittlichkeit zustande kam. Damit wurde ein Kreuzzug gegen die Häßlichkeit aller Geräte, Raüme und der traditionellen Baukunst aufgenommen.
    So war man darum bemüht, die Schönheit im alltäglichen Leben, in den Gegenständen in der unmittelbaren Umgebung des Menschen zu finden. Es sollte eine Welt dem Menschen zuliebe eingerichtet werden, frei von Normen, Konventionen und einschränkenden Traditionen. Wie es sich nachher herausstellte, war die allgegenwärtige Sehnsucht der Künstler nach einem neuen Stil als Ausdruck der Gegenwart fast parallel in vielen Ländem Europas ausgebrochen.

DIE SEZESSION BYDGOSZCZ

    Um die Erkennung der Baukunst der Sezession an den reizvollen Bauwerken unserer Stadt zu erleichtern, sollte nun auf einige ihrer Merkmale verwiesen werden. Hierzu gehören vor allem Atektonik, Asymmetrie, Linearität der Dekoration, Pflanzen- und Tiermotive, entnommen aus der Umwelt (statt eines Akanthusblattes ein Eichenblatt, statt der Löwen - Eulen, Reiher u.dgl.m.), neuartige Stilistik in bezug auf die Darstellung menschlicher Gestalten mit verlängertem Verhältnis des Körperbaus, oft mit schwer bestimmbarem Geschlecht.
    Kennzeichnend erscheint auch eine gewisse Verflachung der Sezessionsfronten im Vergleich zu den ziemlich schwerfälligen, plastischen Fronten der eklektischen Gebäude.
    Dank seinen gut ausgebildeten, einheimischen Projektanten bereicherte sich Bydgoszcz um einige Werke aus der "Oberklasse". Von den vielen Schöpfungen der Erbauer von Bydgoszcz habe ich für Sie die charakterischsten und schönsten ausgewählt.

DIE GEHEIMNISVOLLE FREMDE

    Wie oft laufen wir eiligst unter den Arkaden der Bürgerhäuser in der Focha-Str. 2 und 4. Während wir da an der Kreuzung bei Rot zu warten haben, wollen wir unseren Blick etwas aufrichten...
    Das Bürgerhäus in der Focha-Str. 2 wurde in den Jahren 1900-1901 im Auftrag des Kaufmanns Max Zweiniger, gemäß einem Projekt von Karl Bergner, einem der zu jener Zeit prominentesten Architekten von Bydgoszcz, erbaut. Stilmäßig bildet das Gebäude ein Ganzes mit dem Nachbarhaus Nr. 4, das in den Jahren 1901-1902 im Auftrag des Kaufmanns Rainhold Napiewocki entstand. Als Projektant war dabei auch Karl Bergner beteiligt. Das Gebäude in der Focha-Str. 2 erscheint aus dekorativer Sicht etwas reicher, was für die Eckhäuser übrigens kennzeichnend war. Die fehlende Symmetrie der Hausfront deutet schon auf die Einflüsse der Sezession hin. Die Ausschmückungsdetails sind nur anscheinend wenig differenzierthieran erkennen wir die charakteristischen Maskengesichter von Frauen mit geheimnisvoller Schönheit und rätselhaftem Lächeln - jedes Antlitz ist aber anders! Flache und runde Kartuschen sind umgeben von Blättern und Kastanienbaumstielen, verziert mit Muscheln und Eidechsen. Es ist wirklich ein amüsantes Spiel, all diese Wunderwerke am Gebäude zu entdecken!
    Gleich nebenan ein Sonnenmotiv mit der Gestalt eines fliegenden Vogels, an einer halbrunden Ecke die Gestalt einer liegenden Frau als Vertreterin des Schönheitskanons der
Sezession - verlängertes Verhältnis des Körperbaus, herumliegendes Haar, flache, fast knabenartige Formen.
    Das Haus Nr. 4 hat einen Teil der Motive am Haus Nr. 2 übernommen, und zwar die Masken, die kletternden Pflanzen, geschmiedete Balkonbalustrade mit einer weichen Linie voller Pflanenmotive. Von der Innenausstattung ist leider nur wenig erhalten geblieben - ein bißchen Stukkatur in den Treppenhäusern, "kastanienbaumförmiges" Gitter im Oberlicht der Eingangstür im Flur des Hauses Nr. 2. Man Stelle sich nur den ehemaligen, atemberaubenden Glanz dieser Bürgerhäuser vor!

DER REIHER IM SCHLIF

    Nun wollen wir uns in die Cieszkowskiego-Straße, die schönste Sezessionsstraße von Bydgoszcz, begeben. Verbreitet ist die Überzeugung, daß man bei der Suche nach der Sezession zuerst einmal dahin sollte. In der Cieszkowskiego-Straße erheben sich nämlich einige Bürgerhäuser in ihrer originalen Form aus der Zeit ihrer Errichtung. Wollen wir uns die Gebäude unter den Nummern 3, 7 und 9 einmal anschauen.
    Bei der Betrachtung der unlängst renovierten Häuser kann man ihren Reiz leichter ermitteln, da im Zuge der Renovierung bestimmte Farben und Details (manche rekonstruiert) hervorgehoben wurden. Es blicken uns geheimnisvolle Gesichter an, irgendwo im Schilf geht ein schmächtiger Reiher spazieren; Eulen und Sonnenstrahlen, personifizierter Wind, ins Laub
eingeflochtene Frauengestalten. Erstaunlich, daß dies uns früher alles entgangen war.
    Bei dem in den Jahren 1903-1904 von Paul Bohm errichteten, noch nicht renovierten Haus unter Nummer 3 bedarf es einiger Vorstellungskraft, um seine Schönheit zu ergründen. Seine einmaligen Fensterformen mit fließend gebogenem Querholz und feinen, bogenförmigen Sprossen lassen die Betrachter auch in ihrem gegenwärtigen Zustand in Begeisterung geraten. Man sollte sich auch auf die Eingangstür aufmerksam machen und bedenken, wie schön sie einmal gewesen sein muß - stark verglast mit Glasmalereien, Oberlichter, bekrönt mit weichförmigem Gitter, umrandet mit einem sich schlängelnden, flachen Band, das auf den Sockel schneckenförmig, phantasievoll hinabfällt. Vielleicht wird auch dieses Haus, wie die vielen anderen in der Cieszkowskiego-Straße, seinen ehemaligen Glanz wiedererlangen können?
    Mit unserem Wissen über die Baukunst Karl Bergners wollen wird jetzt seine Aktivitäten in der Cieszkowskiego-Straße feststellen. Und das sind sie auch, zwei Bürgerhäuser (Nr. 7 und 9), in den Jahren 1900-1902 im gleichen Stil errichtet. So erkennen wir Bergners beliebte Motive - verflachte Pseudokartuschen, Bänder, Muscheln, Kastenienbaumblätter, Frauenköpfe unter den Portalen. Haben auch Sie im Bekrönungsbereich des Hauses Nr. 9 eine Komposition ais Personifizierung von Tag und Nacht erkannt? Es sind zwei Frauen mit der epochentypischen Schönheit, die inmitten kletternden Laubes, sitzen - die eine in Begleitung eines Hahnes geweckt, die andere gestützt, wie eingeschläfert neben einer Eule - diese Verzierung wird nur selten beachtet.
    So könnte man die in der Cieszkowskiego-Straße verborgene Sezession noch lange genießen, doch wir wollen ihren Reiz noch anderswo verfolgen können.

TRÄUME IN DEN ALLEN

    Begeben wir uns einmal in die Mickiewicza-Allee, die mit ihrer Bebauung eine der schönsten Bauanlagen darstellt. Am Ende dieser Straße erhebt sich das Gebäude des Instituts für Pflanzenzucht und -akklimatisation, die nördliche Straßenfront bildet eine Reihe von Repräsentationshäusern, im östlichen Teil stehen Villen mit leichtem Aufbau im gut ausgewogenen Verhältnis. Der südliche Teil ist zu einem Park aufgeschlossen. Die Anordnung der Straße ist im Prinzip unverändert geblieben. Die hier erbauten Häuser sind ihrer Größe wegen ganz einmalig. Sie wurden im Auftrag der damaligen Würdenträger und ... Architekten erbaut. Im Haus Nr. 1 wohnte der Haupterbauer Rudolf Kern, das Haus Nr. 3 errichtete für sich selbst Erich Lindenburg.
    Das für die Sezession typische Streben nach der Schaffung eines nicht nur effektvollen, sondern vor allem bequemen Wohnhauses hat hierin seine Widerspieglung gefunden. Obwohl in den geteilten Wohnungen die ursprüngliche Anordnung nur schwer erkannt werden kann, ist von der sorgfältig gewählten Ausstattung dieser Häuser noch viel übriggeblieben, und zwar Öfen, Mosaikfenster, Wandgemälde, Relieftapetten, Mosaiken aus Terrakota in den Treppenhäusern, Teile von Balustraden, Stukkaturen u.y.a.m. Diese Häuser sind alle in den Jahren 1903 bis 1906 entstanden, was verwunderlich erscheinen kann. Es ist ja schade, daß die Geschichte diese Häuser ihrer schönsten Dekorationen beraubt hat. Wenn ich wieder einmal die alten Zeichnungen oder Aufnahmen mit dem gegenwärtigen Zustand konfrontiere, gebe ich mich Traumvorstellungen hin.
    Die prächtigen, scheinbar ausgehöhlten Details am Haus Nr. 1 mit ihren phantastischen Maskenmotiven, die in ausschweifende Ranken mit einmaligen Mustern übergehen, sind heutzutage nur noch an einigen Stellen, häuptsachlich am Portal, anzutreffen, wo sie doch einst die Balkons und den dreieckförmigen Giebel an der südlichen Seiten prächtig "umrankten".

ES KANN SCHÖNER WERDEN

    
    Ja, Bydgoszcz kann schon auf seine Baudenkmäler stolz sein, speziell auf diejenigen aus der Zeit um die Jahrhundertwende, die es hier buchstäblich in Hülle und Fülle gibt. Dabei handelt es sich um eine Herausforderung für die Stadt- und Denkmalpflegebehörden sowie für die privaten Eigentümer; damit hat man aber auch viel ... Kummer. Zwischen dem Malerischen, dem Märchenhaften und Stimmungsvollen einerseits und Vergessen, Verwahrlosen und Abriß andererseits gibt es nämlich nur einer ganz dünne Linie.
    Die Schönheit dieser vor mehr als hundert Jahren erbauten Bürgerhäuser bleibt immer noch atemberaubend. Dies ist für die Stadt von großem Belang. In diesem Zusammenhang sei auf die Begeisterung verwiesen, die das renovierte Hotel "Zum Adler" hervorzurufen vermag. Das ist jene Zauberkraft der Geschichte, die bei luxuriösen, modernen Anlagen nicht herzustellen ist. Der Stadt Bydgoszcz erschließt sich eine große Chance, indem die Bauten aus der vergangenen Epoche sachgerecht in Anspruch genommen werden. Dies hat die Stadt als ihre Herausforderung für die nächsten Jahre wahrzunehmen. Die Erinnerung daran scheint im Zusammenhang mit dem von Bydgoszcz gerade gefeierten Jubiläum besonders angebracht.

Brak komentarzy:

Prześlij komentarz